„Esperanto? Ja, gibt es denn das noch? Esperanto wollte doch mal Weltsprache werden. Wieso spricht das denn keiner?“ Solche und ähnliche Sätze bekommen wir Esperantosprecher öfter zu hören. Das klingt abwertend, zumal es oft gleichzeitig als Urteil rüberkommt: „Ihr Esperantos spinnt ja. Englisch ist doch längst die Weltsprache, was soll denn da noch eine Sprache, die sich nicht durchgesetzt hat und sich auch nicht durchsetzen wird.“
Warum spinnen Menschen seit mehr als 100 Jahren und hören damit noch immer nicht auf?
Englisch lernen wir in der Schule nicht freiwillig, sondern weil es Pflicht ist, wenn wir weiterführende Schulen besuchen wollen/sollen. Nach der Schule bemühen wir uns weiter um Englisch für den Fall, dass es für die Arbeit benötigt wird. Schließlich kann es in Zeiten der Globalisierung sein, dass das Unternehmen, in dem wir arbeiten, von einem Global Player übernommen wird. Englisch wurde in Zeiten des British Commonwealth vielen Völkern aufgezwungen und ist deswegen weit verbreitet. Heute sind die USA die führende Macht in der Welt. Schon dieser Umstand ist prägend. Die meisten Menschen orientieren sich an den Menschen, die mächtiger sind als sie selbst.
Es gibt kein Volk, das Esperanto als Muttersprache spricht. Esperanto ist auch nirgends Staatssprache. Esperantosprecher sind über die ganze Welt verteilt, können sich also auch nur schwer vereinen, denn sie haben keine nationale oder anderweitige Klammer, nur ihre gemeinsame Sprache und die Idee des Autors des Esperanto, man könne mit der Sprache dem Frieden zwischen den Völkern dienen. Es gibt kaum Unterstützung von Mächtigen, wenn es um den Erhalt des Esperanto geht. Jedenfalls haben die wirtschaftlich und politisch Mächtigen keine Interesse an Bürgern, die im Ausland Freunde haben: Sie lassen sich nicht so leicht aufeinander hetzen.
Fremdsprachen zu lernen ist mühselig, wenn es etnische Sprachen sind. Das nehmen nur wenige freiwillig auf sich. Es kann sich auch kaum jemand eine „normale“ Sprache vorstellen, die zu lernen Freunde machen soll. Mit fremdländischen Menschen mühelos in Kontakt treten zu können, kann man sich angesichts der Schwierigkeiten, die man mit dem Englisch sprechen hatte, erst recht nicht vorstellen.
Esperanto lernt man freiwillig. Diese Mühe ist auf den ersten Blick eine Investition ins Ungewisse. Ich bin die erste Hälfte des Wegs zum Anderen gegangen. Woher soll ich wissen, dass der fremde Mensch die andere Hälfte des Wegs gehen wird? Und wenn dieser andere Mensch auch so ein „Spinner“ wie ich ist? Bevor man sich entschließt, Esperanto zu lernen, muss man also zunächst Ängste überwinden und imstande sein, ohne äußeren Druck etwas zu lernen, ohne sicher sein zu können, ob sich die Mühe lohnen wird. Bevor man sich solchen Zweifeln aussetzt, killt man lieber die Angelegenheit mit Aussprüchen wie oben zitiert.
Wenn man als Esperantosprecher dann im Ausland seine positiven Erfahrungen gesammelt hat, will man in der Heimat seine Begeisterung teilen. Dabei kommen dann die oben genannten Sprüche. Da vergeht einem bald das Interesse, andere Menschen von Esperanto überzeugen zu wollen. Es sind daher nur wenige, die sich für die Verbreitung des Esperanto einsetzen. Manch einer kommt dann auch schon mal missionarisch daher, was den Eindruck nahelegt, Esperanto sei eine Sekte oder so etwas.
Für Esperanto einzutreten ist eine Gratwanderung: Man riskiert, deswegen verspottet zu werden, man hat auch kein Beispiel, mit dem man die Idee des Esperanto leicht verständlich machen könnte. Die Idee des Esperanto erscheint den meisten mangels Beispiel als utopisch. Esperanto ist keine Utopie, es ist gelebte internationale Kultur. Das glaubt niemand, bis er – warum auch immer – Esperanto lernt und es anwendet.
„Esperanto lerne ich vielleicht, wenn es ich durchgesetzt hat.“ Tja, wenn der eine den anderen vorschickt, dann wird das auch nichts mit dem „Durchsetzen“. Wenn sich Esperanto „durchgesetzt“ hat, wird es banal sein, Esperanto zu können. Jetzt besteht noch die Möglichkeit, etwas „exotisches“ zu machen.
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